Material Text Cultures
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A04

The Transfer of Knowledge from Antiquity to the Middle Ages. The Conditions and Effects of Enduring Textualisation Taking the Example of Lorsch Abbey

 

former staff members

Teilprojektleiter Prof. Dr. Stefan Weinfurter
akademische Mitarbeiterin Dr. Julia Becker
akademischer Mitarbeiter Prof. Dr. Tino Licht
akademische Mitarbeiterin Dr. Natalie Maag
akademische Mitarbeiterin Dr. Kirsten Wallenwein

 

 

 

Im Westen Europas wurde in karolingischer Zeit der Versuch unternommen, in Bildung und Wissenschaften an die Antike anzuknüpfen. Bis auf Ausnahmen ist von der antiken und spätantiken Literatur nur das erhalten, was in dieser Zeit tradiert werden konnte und sollte. Der Medienwechsel zum Pergamentcodex hat diesen Transfer entscheidend begünstigt: Die europäische Wissensgesellschaft basiert auf der Synthese von antiker Bildungstradition und frühmittelalterlicher Schriftlichkeit in den karolingischen Klöstern. Unter den Bibliotheken des Karolingerreiches hat die Klosterbibliothek von Lorsch den Moment der Wiedergewinnung des antiken und spätantiken Erbes am deutlichsten bewahrt. Ziel des Projektes ist es, den Transfer dieses Erbes anhand der Lorscher Handschriftenüberlieferung zu beschreiben.

Dieser Vorgang umfasst zahlreiche Aspekte. Zum einen geht es um das Medium der Schrift. Die aus den älteren Minuskelschriften entwickelte karolingische Minuskel ist eine überzeugende Synthese von Schriftökonomie und Lesbarkeit. Neben dieser Hauptschrift rekonstruierten die Karolinger die historischen Schriften und verwendeten diese als Auszeichnungsschriften. Eine karolingische Handschrift erkannte man an der korrekten Verwendung dieser Schriften als Gliederungs- und Lesesignale. Von nicht geringerer Bedeutung ist die Verwendung dauerhaften „Materials“. Dass Papyrus unter den klimatischen Bedingungen in Mittel- und Nordeuropa nicht die gewünschte Haltbarkeit garantierte, spielte für den Wechsel zum Pergament eine wichtige Rolle. Das 9. Jahrhundert ist Schlusspunkt der in der Spätantike einsetzenden ‚Umschreibung’ von der Papyrusrolle in den Pergamentcodex. Mit Pergament konnte „Wissen“ von nun an für Jahrhunderte bereitgestellt werden. Im vorliegenden Teilprojekt soll untersucht werden, wie diese Entwicklung in Schrift und Material in Lorsch rezipiert und gefördert wurde? In welcher Weise wurden dadurch Organisation und Präsentation des Wissens in den Handschriften bestimmt?

Dies leitet zur zentralen Fragestellung nach dem Charakter der Auswahl über. Lorsch war so etwas wie eine karolingische „Zentralbibliothek“. Das dort versammelte Schrifttum – darunter Teile der aufgelösten Hofbibliotheken Karls des Großen und Ludwigs des Frommen – repräsentierte einen Idealbestand, der durch die Bibliothekskataloge des 9. Jahrhunderts vollständig rekonstruierbar ist. Im Zentrum der Buchreligion steht die Kommentierung der Heiligen Schrift, so dass zum Ideal einer Zentralbibliothek ein vollständiger Bestand an Bibelversionen, Bibelkommentaren und theologischen Grundlagenwerken auf dem Niveau der lateinischen Väterzeit gehören musste. Säkulare Traditionen stehen dahinter zurück. Vorhanden waren zuvorderst Schriftsteller der Artes liberales, dann Autoren, die wegen des enzyklopädischen Charakters ihrer Schriften oder ihrer stilistischen Vorbildlichkeit tradiert wurden. Für alle genannten Fälle kann man anhand erhaltener Lorscher Handschriften beobachten, in welcher handschriftlichen Qualität und Erschließung durch Gliederung und Kommentare diese Texte bereitgestellt wurden, aber auch wie diese Texte rezipiert, exzerpiert, mit Anmerkungen versehen wurden – der Umgang mit den Artefakten ist idealtypisch rekonstruierbar. Ebenfalls rekonstruierbar und für die Erzeugung, Strukturierung und Vermittlung des Wissens aussagekräftig ist die Organisation der Lorscher Bibliothek. Anordnung, Einteilung, Zuordnung der Bücher – auch dies ist ein Artefakt im Sinn der Untersuchungsmethode des Projekts. Die anthropologische Dimension einer historischen Bibliothek zu erforschen, ist für keine Epoche vor der Karolingerzeit denkbar und in dieser Weise noch nicht durchgeführt worden. Im vorliegenden Projekt soll daher vor allem folgenden Fragen nachgegangen werden: Welche Texte wurden zusammengestellt oder zusammengebunden? Wo erkannte man Lücken und ergänzte diese ganz bewusst? Was also musste erworben werden, damit der „Zentralcharakter“ der Klosterbibliothek gewährleistet werden konnte?

Erweitert wird die Perspektive dieses Postdoc-Projektes (Dr. Julia Becker) in der ersten Laufzeit durch ein Zusatzprojekt, das aus Rektoratsmittel finanziert wird und inhaltlich in den SFB eingegliedert ist. Dieses Zusatzprojekt teilt sich in zwei Dissertationsprojekte auf, von denen das eine sich der „Frühen Schriftkultur im Bodenseeraum. Untersuchungen zur alemannischen Minuskel“ (Bearbeiterin Dr. Natalie Maag; das Projekt ist abgeschlossen, die Ergebnisse sind publiziert) widmet, das andere die Einträge der Textüberprüfung im spätantik-frühmittelalterlichen Schriftwesen in einem „Corpus subscriptionum“ (Bearbeiterin Dr. Kirsten Wallenwein; das Projekt ist abgeschlossen, die Ergebnisse sind publiziert) erfaßt und erforscht.

A04 wurde von Prof. Dr. Weinfurter (Historisches Seminar) und PD Dr. Tino Licht (Historisches Seminar. Abteilung Mittellatein) gemeinsam projektiert. Vor Ort finden sich eine hervorragend ausgestattete mittellateinische Fachbibliothek und die Möglichkeit intensiver Ausbildung und Betreuung in der Paläographie, für die sich PD Dr. Tino Licht am Teilprojekt verantwortlich zeigt.

Publikationen

Maag, Natalie: Die Alemannische Minuskel (744-846 n. Chr.). Frühe Schriftkultur im Bodenseeraum und Voralpenland. Stuttgart 2014, 238 S. (Rezensionen: http://www.sehepunkte.de/2015/06/26774.html ; http://www.hist-verein-pfalz.de/downloads/150121_Maag-Minuskel.pdf)

Becker, Julia/Tino Licht: Karolingische Schriftkultur: Aus der Blütezeit des Lorscher Skriptoriums, Regensburg 2016 (1 Heft, 80 Bildtafeln)

Wallenwein, Kirsten: Corpus subscriptionum. Verzeichnis der Beglaubigungen von spätantiken und frühmittelalterlichen Textabschriften (saec. IV-VIII). Stuttgart 2017, 402 S.

Kooperationspartner

Es besteht eine Kooperation mit Dr. Hermann Schefers, dem Leiter der Welterbestätte Kloster Lorsch, und der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen.

Veranstaltungen

21.VII.-17.XI.2011
Grundlagen der Schriftlichkeit von der Antike bis zum Spätmittelalter (Arbeitsgruppentreffen mit dem Teilprojekt A06)

3.-4.XI.2011
Workshop „Einführung in das Bestimmen und Interpretieren stenographischer Randnotizen in Handschriften der Karolingerzeit“ geleitet von Dr. Martin Hellmann

5.XII.2011
Impulstagung „Papyrus, Pergament, Papier – zur Materialität der Beschreibstoffe“ veranstaltet durch die Teilprojekte A02, A03, A04, A05 und A06 in der UB Heidelberg

Tagungsberichte:
Kirsten Tobler und Natalie Maag, in: Informationsdienst der AHF, Nr. 020/12.
Sandra Schultz, in: H-Soz-u-Kult  (06.III.2012), vgl. URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4114   

26.I.2012
Workshop «Nota que dicitur neuma» – „Neumen verstehen lernen“ geleitet von Prof. Dr. Stefan Morent

6.-7.VII.2012
Workshop „Frühmittelalterliche Initialkunst“ in Kooperation mit dem Teilprojekt A05, geleitet von Dr. Christoph Winterer (Mainz), Dr. Tino Licht (Heidelberg) und Prof. Dr. Ulrich Kuder (Kiel)

12.-13.VII.2012
Kooperation beim Workshop "Paper Biography" des Teilprojekts A06 mit Prof. Dr. Robert Fuchs, Cologne Institute for Conservation Sciences, FH Köln, und Thomas Klinke, Dipl.-Rest., Wallraff-Richartz-Museum Köln

27.-28.IX.012
Kooperation bei der internationalen Tagung “Multilingual and multigraphic manuscripts from East and West“ (Madrid)

31.X.-2.XI.2012
Internationale Tagung "Karolingische Klöster. Wissenstransfer und kulturelle Innovation"

Tagungsberichte:
Theresa Jäckh, in: H-Soz-u-Kult (21.01.2013), vgl. URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4586&count=4397&recno=2&sort=datum&order=down
Mariken Teeuwen und Irene van Renswoude, in: Informationsdienst der AHF, Nr. 174/2012, vgl. URL:  http://www.ahf-muenchen.de/Tagungsberichte/Berichte/pdf/2012/174-12.pdf

 

Subprojects of the 3rd Funding Period

A01 A02 A03 A05 A06 A08 A09 A10 A11 A12 B01 B04 B09 B10 B13 B14 B15 C05 C07 C08 C09 C10 INF Ö2 Z

 

 

Completed Subprojects

A01 A03 A04 B02 B03 B06 B07 B11 B12 C01 C02 C03 C04 C06 IGK Ö1

 

 

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